Negative Strompreise sind auch im Jahr 2025 ein bedeutendes Phänomen an den europäischen Strombörsen. In Deutschland wurden bis zum 12. August bereits 445 Stunden mit negativen Preisen verzeichnet, in den Niederlanden 463 Stunden und in Spanien 489 Stunden. Damit liegen die Werte nahe an den Rekorden des Jahres 2024 oder übertreffen diese bereits. Während niedrige Großhandelspreise für viele Stromverbraucher grundsätzlich vorteilhaft sind, wirken sich häufige negative Preise problematisch auf den Strommarkt aus.
In Deutschland belasten sie insbesondere das EEG-Konto, da sowohl die Differenz zwischen garantierten Vergütungen und Marktpreisen steigt als auch Vermarktungsverluste bei der Direktvermarktung entstehen. Neben diesen Vermarktungsverlusten führen regulatorische Anpassungen, wie die seit Februar 2025 geltende 1-Stunden-Regel (1h-Regel) des „Solarspitzengesetzes“, dazu, dass die Erlöse neuer EEG-geförderter Anlagen in Phasen negativer Preise entfallen und damit die Wirtschaftlichkeit neuer Projekte verschlechtern.
Ziel des Whitepapers ist es, mithilfe des fundamentalen Strommarktmodells Power2Sim von Montel die zentralen Einflussfaktoren zu identifizieren und mögliche Entwicklungspfade zu skizzieren – ohne konkrete Prognosen zur künftigen Häufigkeit negativer Strompreise zu liefern. Dabei stehen drei Dimensionen im Vordergrund: das regulatorische Umfeld und das daraus resultierende Bietverhalten von Wind- und Photovoltaikanlagen, der Flexibilisierungsgrad des wachsenden Anteils flexibler Stromnachfrage sowie die Rolle von Speichertechnologien, insbesondere großskaliger Batteriespeicher (BESS). Die Ergebnisse sind keine exakten Prognosen, sondern Sensitivitäten, die verdeutlichen, wie die drei Faktoren zusammenwirken können, um negative Strompreise langfristig zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.
Als Ausgangspunkt der Analyse dient ein hypothetisches „Counterfactual“-Szenario, welches auf dem „Central“ Szenario der europäischen Strompreisszenarien von Montel basiert. In diesem hypothetischen Szenario wird eine Situation ohne „zeitliche Flexibilisierung“ der flexiblen Stromnachfrager, ohne Speicherintegration und ohne regulatorische Eingriffe, wie z. B. durch § 51 EEG, simuliert. Unter diesen Annahmen steigt die Zahl der Stunden mit negativen Preisen in Deutschland bis 2030 auf rund 1.600 Stunden pro Jahr und für das Jahr 2038 auf über 2.500 Stunden. Diese Entwicklung ist eine direkte Folge des massiven Ausbaus erneuerbarer Energien in Kombination mit einer „zeitlich inflexiblen Nachfrage“ und thermischen „must-run“-Kapazitäten, die bei niedrigen Preisen weiter einspeisen.
Die Berücksichtigung regulatorischer Änderungen zeigt jedoch, dass sich die Zahl negativer Stunden deutlich reduzieren lässt. Die 1-Stunden-Regel führt dazu, dass Anlagen in Stunden mit negativen Preisen keine Einspeisevergütung mehr erhalten und daher nicht mehr zu Preisen unter null bieten. Während dieser Effekt isoliert betrachtet bei Photovoltaik weniger ausgeprägt ist, zeigt sich bei der Windenergie eine besonders starke Wirkung. Der Grund liegt in der gleichmäßigeren Einspeisung über das Jahr hinweg, die auch viele Nachtstunden mit niedriger Nachfrage betrifft. Werden die Regelungen für Wind- und Solaranlagen kombiniert, verstärkt sich der Effekt: In der Sensitivität sinkt die Zahl negativer Stunden in Deutschland auf gerade einmal 20 Stunden im Jahr 2038.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Grad der zeitlichen Flexibilität der Stromnachfrage. Entscheidend ist nicht primär, wie groß die flexiblen Lasten – etwa aus Elektromobilität, Elektrolyseuren oder Wärmepumpen – insgesamt sind, sondern wie stark sich ihr Verbrauch zeitlich verschieben lässt. Je besser diese Lasten an Zeiten mit Stromüberschüssen angepasst werden können, desto stärker trägt dies zur Reduzierung der negativen Strompreise bei.
In der Sensitivität, in denen die Flexibilität dieser Verbraucher bis 2040 deutlich zunimmt und ein größerer Anteil ihres Verbrauchs flexibel verschoben werden kann, reduzieren sich die Stunden negativer Preise im Jahr 2038 von über 2.500 Stunden auf unter 2.000 Stunden. Und das ohne die 1h-Regelung, die in Kombination mit gesteigerter Flexibilität die negativen Preise ganz verschwinden lässt. Selbst bei einer langsameren Erschließung der verschiedenen Flexibilitätspotentiale sinkt die Zahl der Stunden mit negativen Preisen kontinuierlich.
Großbatteriespeicher haben im Modell hingegen nur einen begrenzten Einfluss auf die Reduzierung negativer Stunden. Zwar können sie durch arbitrageorientiertes Laden und Entladen Preisspitzen glätten und die sogenannten Capture Prices für erneuerbare Erzeuger verbessern, doch reicht die prognostizierte Kapazität bis 2037 nicht aus, um bei hoher Einspeisung im Sommer nennenswert zur Reduktion negativer Preise beizutragen. Die beschränkte Speicherleistung sowie die Tatsache, dass negative Preise oft in aufeinanderfolgenden Stunden auftreten, limitieren den Effekt.
Interessanterweise bleiben die zentralen Ergebnisse stabil, auch bei abweichenden Annahmen für das Basisszenario, wie im konservativeren „Tensions“-Szenario. Selbst bei langsamerem Ausbau erneuerbarer Kapazitäten und geringerer flexibler Nachfrage führen die regulatorischen Anpassungen und eine graduelle zeitliche Flexibilisierung der Nachfrage in den 2030er-Jahren dazu, dass negative Preise weitgehend verschwinden.
Zusammenfassend zeigt das Whitepaper, dass eine Kombination aus regulatorischen Anpassungen und einer zunehmenden zeitlichen Flexibilisierung der Nachfrage das Potenzial hat, die Häufigkeit negativer Strompreise in den kommenden Jahren deutlich zu senken. Während Batteriespeicher in erster Linie zur Optimierung der Erlöse beitragen, sind regulatorische Rahmenbedingungen und der Ausbau flexibler Verbrauchsoptionen die Schlüsselfaktoren für die Stabilisierung des Strommarktes.