Der Takt des Stroms: Wie die Viertelstunde den Energiemarkt verändert
Am 1. Oktober 2025 hat sich der europäische Strommarkt grundlegend verändert: Die Day-Ahead-Auktion wird seitdem nicht mehr in Stundenblöcken, sondern in 15-Minuten-Intervallen durchgeführt. Ziel dieser Reform ist es, die zunehmende Volatilität durch den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien besser abzubilden und flexiblere Reaktionen auf kurzfristige Erzeugungsschwankungen zu ermöglichen. Doch was bedeutet das für die Preisstruktur? Erste Analysen zeigen: Die Umstellung hat nicht nur die Marktmechanik verändert, sondern auch ein bekanntes Muster hervorgebracht, das normalerweise aus dem Intraday-Markt bekannt ist: den „Sägezahn“.
Ein Blick auf die Daten
Ein Vergleich der Preisverläufe vor und nach der Umstellung macht den Unterschied deutlich. Die Grafik zeigt die Preise der letzten Septembertage vor der Umstellung im Vergleich zu den ersten Oktobertagen nach der Umstellung. Während die Preise im September noch in klaren Stundenblöcken verharrten, zeigen sie ab dem 1. Oktober feine Zacken – das typische Sägezahn-Muster. Innerhalb einer einzelnen Stunde schwanken die Preise nun deutlich. Erste Beobachtungen zeigen, dass in den Morgenstunden, bedingt durch die steil ansteigende Sonneneinstrahlung (PV-Ramps), das erste Viertel häufig am teuersten ist; die Preise fallen dann bis zum letzten Viertel, bevor sie in der nächsten Stunde wieder ansteigen. Gegen Abend, wenn die Solarstromerzeugung einbricht, kehrt sich dieser Trend um.
Eine erste Analyse bestätigt diesen Eindruck. So lag die mittlere Standardabweichung der Day-Ahead-Preise in den ersten sieben Oktobertagen rund 15 % über dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dieser Anstieg der kurzfristigen Volatilität ist jedoch mit Vorsicht zu bewerten, da das Jahr 2025 aufgrund der allgemeinen Marktlage ohnehin preisschwankender war. Noch deutlicher hat sich das Handelsverhalten verschoben. Ein direkter Vorher-Nachher-Vergleich zeigt, dass das durchschnittliche Volumen der ersten Intraday-Auktion (IDA1) von 28.000 MWh pro Tag (letzte zwei Septemberwochen) auf rund 17.000 MWh in der ersten Oktoberwoche fiel. Auch der Blick auf das Vorjahr bestätigt diesen Trend: In der ersten Oktoberwoche 2024 lag das Volumen mit ca. 27.000 MWh noch deutlich höher. Die Implikation ist klar: Es fließt mehr Liquidität in den Day-Ahead-Markt.
Warum entsteht das Sägezahn-Muster?
Die Erklärung liegt in der Marktlogik und den physischen Gegebenheiten:
Grenzüberschreitender Handel (FBMC): Die Handelskapazitäten im Flow-Based Market Coupling werden weiterhin stündlich fixiert. Kurzfristige Änderungen innerhalb dieser Stunde, etwa durch schnelle PV-Ramps, können so nicht berücksichtigt werden, was Preissprünge zwischen den einzelnen Viertelstunden begünstigt.
Bietverhalten konventioneller Kraftwerke: Viele konventionelle Kraftwerke bieten weiterhin in stündlichen Blockgeboten, um ihre physikalischen An- und Abfahrrestriktionen einzuhalten. Dies verstärkt die Preisunterschiede zusätzlich.
Physische Realität: Während Handelsplattformen bereit sind, wurden viele Kraftwerke für eine stündliche Fahrweise konzipiert. Die technische und strategische Anpassung an den neuen 15-Minuten-Takt braucht Zeit.
Ausblick
Wird sich das Sägezahn-Muster also glätten? Mittelfristig ist davon auszugehen. Im Winter, wenn die PV-Ramps weniger ausgeprägt sind, dürfte der Effekt von Natur aus schwächer ausfallen. Zudem werden die Marktteilnehmer ihre Bietstrategien anpassen und der Zubau von Flexibilitäten wie Batteriespeichern wird die kurzfristigen Schwankungen zunehmend dämpfen. Langfristig bleibt jedoch die Frage offen: Solange stündliche Mechanismen wie das Flow-Based Market Coupling und starre Blockgebote den Handel dominieren, wird die intra-stündliche Volatilität ein neues, prägendes Merkmal des Day-Ahead-Marktes bleiben.