Der Wasserstoffmarkt der Zukunft
Die Energiewirtschaft steht vor einem Wandel, und ein Begriff ist dabei allgegenwärtig: Wasserstoff. Während immer neue Technologien, politische Pläne und Abkommen Schlagzeilen machen, bleibt die zentrale Frage: Wie sieht der Weg zu einem funktionierenden Wasserstoffmarkt aus?
In unserem Blogbeitrag werfen wir einen Blick auf den aktuellen Stand der Wasserstoffwirtschaft und beleuchten die Herausforderungen und Phasen, die noch vor uns liegen, um Wasserstoff als klimaneutralen Energieträger der Zukunft zu etablieren. Wie wird sich der Preis entwickeln, und welche Rolle spielt der Handel?
Wer in den letzten Monaten die Schlagzeilen in der Energiewirtschaft verfolgt hat, der kommt um ein Thema schlichtweg nicht herum, Wasserstoff. Fast schon im wöchentlichen Takt gibt es Berichte über neue politische Pläne, Ankündigungen über Infrastrukturprojekte, Abkommen oder Absichtserklärungen zwischen Staaten oder neue Weiterentwicklungen aus der Technik. Schon allein die Quantität, mit der das Thema in den Medien vertreten ist, vermittelt den Eindruck, dass Wasserstoff bald den endgültigen Durchbruch als wichtiger Energieträger für die Zukunft schaffen kann.
Der Wasserstoffmarkt, eine Momentaufnahme
Wirft man einen Blick auf den aktuellen Stand der für die Zukunft oft prophezeiten Wasserstoffwirtschaft, wird schnell eines klar: Der Weg hin in diese Zukunft, in der Wasserstoff einer der dominierenden Energieträger ist, ist noch weit. Der Großteil des heute bereits in der Industrie verwendeten Wasserstoffs ist grau. Er wird aus fossilen Energieträgern wie Erdöl oder Erdgas gewonnen. Damit erfüllt er nicht die Anforderungen eines klimaneutralen Energieträgers.
Im Jahr 2021 wurde gerade einmal 4 % des globalen Wasserstoffs mithilfe von Elektrolyseuren bereitgestellt [1]. Die weltweit installierte Kapazität an Elektrolyseuren lag bei knapp 300 MW. Im Vergleich, die IEA geht davon aus, dass 2030 weltweit über 700 GW an Elektrolyseurkapazität benötigt werden, um den Weg zu einem weltweit klimaneutralen Energiesystem zu ebnen [2].
Zwischen beiden Zahlen liegt fast ein Faktor von 2500. Hinzu kommt, dass es zurzeit fast keinerlei Transportinfrastruktur in Form von Pipelines, Schiffen, LKW oder Zügen gibt. Zeitgleich soll grüner Wasserstoff nicht nur grauen Wasserstoff, sondern auch noch Erdgas und Erdöl in den verschiedenen Sektoren ersetzen. In Abbildung 1 ist die heutige Aufteilung der genutzten Energieträger in den verschiedenen Sektoren zu sehen.
Die Fragen, die sich in Bezug auf das Energiesystem der Zukunft stellen, beschränken sich nicht nur auf die technischen Aspekte. Über all diesen technischen Unwägbarkeiten thront die Frage: „Wie könnte ein zukünftiger Markt für Wasserstoff aussehen?“. Diese Frage lässt sich nicht nur wegen der vielen Ungewissheiten schwer beantworten. Außerdem müssen auch viele verschiedene Bereiche beleuchtet werden, um die Frage zu beantworten und der Komplexität des Energiesystems gerecht zu werden.
Einige der wichtigsten Fragen sind:
„Wie wird Wasserstoff in Zukunft gehandelt?“,
„Wie kann ein Wasserstoffmarkt etabliert werden?“
„Wie wird sich zukünftig der Preis für grünen Wasserstoff bilden?“.
Fragen wie diese geistern bei diesem Thema bestimmt in vielen Köpfen. Dieser Beitrag soll zeigen, wie sich ein zukünftiger Wasserstoffmarkt potenziell entwickeln kann und die oben genannten Fragen beantworten.
Der Weg in eine zukünftige Wasserstoffwirtschaft
Um den Weg zu einem funktionierenden Markt für Wasserstoff zu ebnen, in dem Nachfrage und Angebot über den Preis entscheiden, wird der Handel mit Wasserstoff mehrere Phasen durchlaufen müssen. So ähnlich haben wir es auch bei der Markteinführung der erneuerbaren Erzeugungsanlagen gesehen.
Diese Anlagen erzeugen heute Strom zu Gestehungskosten, mit denen sie viele konventionelle Kraftwerke unterbieten. Zu ihrer Markteinführung durchliefen sie jedoch verschiedene Subventionsphasen, um zu dem heutigen Status Quo zu kommen.
In unserem Modell durchläuft der Wasserstoffpreis auf dem Weg hin zu einem funktionierenden Markt vier Phasen, die in Abbildung 2 zu sehen sind. Die Art, wie die Preise für Wasserstoff in den verschiedenen Phasen gebildet werden, verändert sich über die Zeit. Zusätzlich ist es abhängig von äußeren Faktoren wie der Fertigstellung wichtiger Infrastruktur, wie etwa des Wasserstoffkernnetzes.
Phase 1: Bilaterale Lieferverträge
Zurzeit befinden wir uns in Phase 1. Es existiert weder eine Wasserstoffinfrastruktur noch ein Wasserstoffmarkt. Auch gibt es kein Handelssystem, welches die Preise für Wasserstoff beeinflusst. Sucht man an der EEX nach Märkten für Wasserstoff, analog zu anderen Commodities, so findet man mit den sogenannten „Hydrix“ nur einen Wasserstoffpreisindex als Anhaltspunkt. Dessen Aufgabe besteht einzig darin, historische Informationen bereitzustellen und Transparenz zu schaffen.
Trotz der Nichtexistenz eines Marktes haben bereits jetzt einige Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen einen Bedarf an Wasserstoff. Zum Beispiel, um eine Vorreiterrolle im Themenbereich „grüner Wasserstoff“ oder „Klimaschutz“ einzunehmen oder da es große „Lock-in“-Effekte in gewissen Bereichen gibt. Aber auch weniger abstrakte, wirtschaftliche Gründe können dazu führen, dass ein Unternehmen bereits in dieser Phase einen Wasserstoffbedarf entwickelt.
Beispielsweise setzt ThyssenKrupp unter anderem frühzeitig auf Wasserstoff. So will das Unternehmen verhindern, ein zweites Mal den Preisspitzen des Gasweltmarktes ausgeliefert zu sein. So wie auch andere Unternehmen sieht ThyssenKrupp in den Preisspitzen des Gasweltmarktes ein erhebliches Geschäftsrisiko. Dieses wurde zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine erst kürzlich noch einmal verdeutlicht.
Die Nachfrage dieser Unternehmen führt zum Aufbau von Elektrolysekapazitäten. Aufgrund der angesprochenen fehlenden Handelsmechanismen werden bilaterale Verträge zwischen Wasserstoffproduzenten und -verbrauchern geschlossen. Und der Wasserstoff wird zu den anfallenden Vollkosten plus einer Gewinnmarge und anfallenden Steuern, Umlagen und Abgaben verkauft.
In dieser Phase herrscht also eine kostenbasierte Preissetzung vor. Dieser Ansatz wird eine marktdominierende Rolle einnehmen, bis die grundliegenden Wasserstoffinfrastruktur wie das Wasserstoffkernnetz fertiggestellt ist.
Phase 2: Markthochlauf
Sobald diese fertiggestellt ist, trifft der Wasserstoffpreis in die zweite Phase, den Markthochlauf, ein. Die bisher vorherrschenden bilateralen Verträge werden in der Folge langsam durch den börslichen Handel als dominante Handelsform ersetzt. Das bringt Folgen für den Wasserstoffpreis mit sich.
Im Laufe der Zeit verlieren die Vollkosten immer mehr an Bedeutung und an deren Stelle setzt sich eine Preiskopplung an konkurrierenden Energieträgern wie Erdgas, Erdöl und grauem Wasserstoff durch. Diese Entwicklung ist damit zu begründen, dass grüner Wasserstoff in dieser Phase immer mehr die Rolle eines Energieträgers einnimmt, der mit den fossilen Energieträgern konkurriert. Die Entscheidung, ob grüner Wasserstoff oder fossile Energieträger eingesetzt werden, hängt immer stärker von den Preisen der einzelnen Commodities und dem CO2-Preis ab.
Phase 3: Nutzungskonkurrenz
Das Ende des Markthochlaufs und damit das Ende der zweiten Phase zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Preis für grünen Wasserstoff vollständig von den Vollkosten löst. Die Bepreisung des Wasserstoffs erreicht damit die dritte Phase. In dieser werden Preise für grünen Wasserstoff einzig und allein durch die Nutzungskonkurrenz zu den anderen Commodities bestimmt.
Auch wenn das Angebot und die Nachfrage an grünem Wasserstoff noch nicht die ausschlaggebenden Mechanismen sind, um Preise zu bilden, wird der Preis dennoch erstmals vollständig über Marktmechanismen und unabhängig von Vollkosten bestimmt. Wie groß der Einfluss der einzelnen Energieträger auf den Wasserstoffpreis ist, hängt vor allem davon ab,
wie stark die absolute Menge des genutzten Wasserstoffs in den einzelnen Sektoren wächst
und welche Energieträger zurzeit in dem jeweiligen Sektor genutzt werden.
Über diese beiden Größen kann ein relativer Einfluss der einzelnen Energieträger auf den Wasserstoffpreis ermittelt werden. Da die Dekarbonisierung der Sektoren aus wirtschaftlichen und technischen Gründen unterschiedlich schnell verläuft, ändert sich die Preissensitivität von grünem Wasserstoff. Diese Änderung zeigt sich über die Jahre bei den verschiedenen Energieträgern. Diese ist in Abbildung 3 zu sehen.
Phase 4: Emanzipation
Im Laufe der Jahre wird die Marktdurchdringung von Wasserstoff aufgrund verschiedener wirtschaftlicher, technischer und nicht zuletzt politischer Faktoren stetig erhöht und Wasserstoff avanciert zum dominanten Energieträger auf dem Markt der gasförmigen Brennstoffe.
Er spielt damit eine wichtige Rolle beim Erreichen der Klimaneutralität. Durch seine Dominanz löst sich der Preis für grünen Wasserstoff nun auch vollständig von dem der fossilen Energieträger. Denn diese werden nur noch eine sehr untergeordnete oder sogar gar keine Rolle mehr in unserem Energiesystem spielen.
In dieser vierten Phase wird der Preis für grünen Wasserstoff stattdessen nur noch über Angebot und Nachfrage bestimmt. Damit erreicht er ein Marktgleichgewicht. Für Wasserstoff ist in dieser Phase also ein ähnliches Verhalten anzunehmen, wie wir es heute bei anderen Commodities sehen.
Der aufmerksame Leser oder die aufmerksame Leserin wird sich bestimmt schon die folgende Frage gestellt haben: „Aber was ist denn mit den Wasserstoffimporten und deren Rolle in der zukünftigen Wasserstoffwirtschaft?“ und recht haben diese Stimmen. Deutschland wird genau wie heute auch zukünftig einen Großteil seiner benötigten Energie importieren müssen. Nur wird diese Energie zukünftig nicht mehr in Form von Erdgas und Erdöl bezogen werden, sondern in Form von grünem Wasserstoff und Ammoniak. Dabei spielen vor allem die Regionen Nordafrika, Südeuropa und Skandinavien eine große Rolle und werden als Hauptimportquelle agieren.
Bereits zum Ende der ersten Phase bilden sich erste Importstrukturen für grünen Wasserstoff und Ammoniak. Die Bedeutung der Importe wird über die Zeit zunehmen, da immer mehr Regionen über Pipelineverbindungen Wasserstoff nach Deutschland exportieren können.
Abbildung 4 visualisiert die Aufteilung der Wasserstoffversorgung in Deutschland. Dabei sind die inländische Produktion sowie Importe aus Europa und dem europäischen Ausland dargestellt und heben die Bedeutung der Importe nochmal hervor.
Der HyPrix als Fernrohr für zukünftige Preise
Dies ist ein möglicher Pfad, der uns einen Weg in eine Wasserstoffwirtschaft zeigt. Klar ist auch, dass sich unsere heutige Gesellschaft gerade erst am Anfang dieses Pfades befindet. Hierzu bestehen noch viele Unsicherheiten, nicht zuletzt hinsichtlich des Preises für grünen Wasserstoff.
Basierend auf diesem möglichen Entwicklungspfad hat Energy Brainpool in den letzten Monaten ein Modell entwickelt, um zukünftige Wasserstoffpreise zu berechnen. Der „HyPrix“ getaufte Preisindex für Wasserstoff nutzt unsere vier Strompreisszenarien und unsere Preisannahmen für zukünftige Commodities als Datengrundlage.
Um die Importmengen an grünem Wasserstoff und grünem Ammoniak abschätzen zu können, stützt sich der „HyPrix“ vor allem auf den „Ten Year Network Development Plan (TYNDP 2024)“ von ENTSO-E [3] und die Agora Studie „Wasserstoffimporten Deutschlands“ [4]. Die Importpreise werden mithilfe des „Global H2 Cost Tools V3“ des EWI der Uni Köln berücksichtigt [5]. In Abbildung 5 sind die vier verschiedenen Preisverläufe des grünen Wasserstoffs, die Kunden einen möglichen Entwicklungsraum für den Wasserstoffpreis aufzeigen, zu sehen. Jede der vier Kurven basiert auf einem unserer Strompreisszenarien und spiegelt deren individuelle Storyline wider.
In Abbildung 6 ist die bereits beschriebene Entkopplung des Preises für grünen Wasserstoff von den Vollkosten zu erkennen. Wie man sieht, folgt der Indexpreis den fluktuierenden Vollkosten in Phase 2 nur noch bedingt. Es entsteht eine über die Jahre immer größer werdende Lücke zwischen den beiden Werten. Wie passt das zusammen? Diese Differenz kann – vor allem im qualitativen Vergleich mit den Preisentwicklungen der anderen Szenarien – als Anhaltspunkt für zukünftige Subventionen dienen.
Eine ähnliche Funktion kann die Preisdifferenz zwischen grauem und grünem Wasserstoff einnehmen, hinsichtlich des Wertes zukünftiger Herkunftszertifikate für grünen Wasserstoff. So ist grüner Wasserstoff lange Zeit ein knappes Gut und dessen Herkunftszertifikate sind daher begehrt. Dennoch verlieren sie mit der immer stärkeren Marktdurchdringung langsam, aber stetig an Wert, da grüner Wasserstoff zum dominanten, gasförmigen Energieträger wird.
HyPrix als Navigator in der Wasserstofftransformation, ein Fazit
Die Energiewirtschaft steht derzeit vor tiefgreifenden Umwälzungen. Die Akteure im Energiemarkt müssen entscheidende Weichen für eine klimaneutrale Zukunft stellen – auch im Hinblick auf Wasserstoff und gasförmige Energieträger. Diese Transformation bringt zahlreiche Unsicherheiten mit sich, die in Verbindung mit der ohnehin schon hohen Komplexität des Energiesystems es erschweren, langfristig zu entscheiden. Der „Hyprix“ hilft, indem er kurzfristig Preise abschätzt. Darüber hinaus schafft er durch seinen langfristigen Entwicklungspfad eine fundierte Grundlage für die Entscheidungsfindung.
Erfahren Sie mehr über die zukünftige Preisentwicklung von grünem Wasserstoff auf dem deutschen Mark
Quellen:
[1] IRENA - Hydrogen
[2] Global hydrogen demand by production technology in the Net Zero Scenario, 2020-2030
[3] TYNDP // 2024 Scenarios Methodology Report
[4] Wasserstoffimporte Deutschlands Welchen Beitrag können Pipelineimporte in den 2030er Jahren leisten?
[5] Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI)
Written by:
David Zimmer
Co-author: Huangluolun Zhou